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Rheticus-Jahr 2014

"...weshalb das die österreichische Seele so beschäftigt hat..."

2014 feierte die Stadt Feldkirch den 500. Geburtstag von Georg Joachim Rheticus. Dies war zugleich Auftakt zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema Humanismus im Allgemeinen. Martina Podgornik sprach mit Regisseurin Barbara Herold über die Vorbereitungs- und Probenarbeit, über große Töchter und, um einen Topos des Humanismus zu bemühen, über den Wert von Kunst, Kultur und Bildung für ein "gelingendes Leben".

Was hat Sie veranlasst, sich mit der Bundeshymne, speziell mit den „Großen Töchtern“ zu beschäftigen?

Barbara Herold: Es war der Prozess, wie es zur Änderung der Bundeshymne gekommen ist, der sehr groteske Ausmaße angenommen hat. Mit vielen skurrilen Debatten und Diskussionen – vom Antrag auf Hymnenänderung bis zur letzten Nationalratsdebatte im Dezember 2011. Das hat wirklich viel Komik und Realsatire geboten. Ich habe mich gefragt, was die Menschen hier so furchtbar aufregt. Ich möchte gar keine Antworten geben, ob die Textänderung nun gerechtfertigt oder sinnvoll ist, frage mich aber, weshalb das die österreichische Seele so beschäftigt hat, wenn es doch angeblich – wie oft gesagt wurde – so schrecklich unwichtig ist. Deswegen lautet meine These: Bis Gleichberechtigung und Gleichstellung tatsächlich vollzogen sind, ist ein solcher Schritt als Signal notwendig. Um Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir – was Gleichstellung und Gleichberechtigung betrifft – noch ein großes Stück Weg vor uns haben.

Worauf zielen Sie im neuen Stück ab?

Barbara Herold: Es steht ja außer Frage, dass es sowohl die ‚großen Söhne‘ als auch die ‚großen Töchter‘ gibt. Kraft der Tradition und unserer Geschichte sind wir es gewohnt, dass Männer im Fokus stehen, obwohl Frauen das natürlich genauso verdient haben. Wäre es selbstverständlich, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden würden – das ist das pragmatischste Beispiel – dann wäre es nicht nötig, extra darauf hinzuweisen: ‚Das ist aber eine Frau, die das geleistet hat.‘ Insofern geht es darum, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass es selbstverständlich sein müsste und dass jeder Mann und jede Frau gleichberechtigt ein großer Sohn und eine große Tochter sein kann. Und dass es sich ja vielleicht um eine Größe handelt, die in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen wird.

Man sollte also auch vom Leistungsgedanken wegkommen?

Barbara Herold: Genau, und damit weg von der Frage ‚Was muss man erschaffen oder geleistet haben, damit man diese Auszeichnung verdient hat?’ Und wenn es schon so sein muss, warum haben das dann nur Männer verdient? Es geht darum, ein wenig wach zu machen und sich zu überlegen, wo man selber steht in dieser Genderdebatte. Es gibt auch viele Witze über sprachliches Gendern und auch bei mir hat das Umdenken erst vor zehn Jahren so richtig begonnen. Natürlich fühle ich mich auch angesprochen, wenn jemand ‚liebe Zuschauer‘ sagt, aber trotzdem ist das ein Mosaiksteinchen des Systems, wie Bewusstsein geschaffen wird und wie das als ganz normal hingenommen wird: ‚Ich bin so stark, ich bin ja so selbstbewusst und brauche dieses Zeichen nicht, dass ich als Zuschauerin angesprochen werde.‘ Das stimmt dann aber eben doch nicht.

Bei der Zeitungslektüre ist das Gendern oft mit schlechter Lesbarkeit verbunden.

Barbara Herold: Wenn man sich Mühe gibt, eventuell auch geschlechtsneutral zu formulieren, ist es irgendwann selbstverständlich, dass sich auch die Frau darin wiederfindet. Aber dafür müssen wir wirklich dasselbe Fundament haben oder die gleiche Wertschätzung und Achtsamkeit, die sich dann letzten Endes auch im Zählbaren (gleiche Bezahlung für gleiche Leistung) ausdrücken muss.

Vermittlungsangebote auch für Erwachsene

Sie bieten am 1. April speziell für Senioren eine Exklusivführung und die Möglichkeit für ein Gespräch mit den Schauspielern an. Was hat es damit auf sich?

Barbara Herold: Vermittlungsangebote werden vorwiegend für junge Menschen angeboten, die dadurch ans Theater herangeführt werden sollen, indem man den Entstehungsprozess von Theater für sie transparenter macht. Also warum nicht auch für Erwachsene, für Seniorinnen und Senioren. In einer Einführung zu einem Stück erfährt man viel über die Absicht des Teams, die Herangehensweise, die Schwerpunkte, die gesetzt wurden. Dann kann man das in der Aufführung für sich überprüfen: Ist das gelungen oder nicht, stimmen Intention und Wirkung überein? Und im anschließenden Gespräch mit dem Regieteam und den beiden chauspieler_innen kann man dann nochmal das Gesehene Revue passieren lassen und alle Fragen loswerden, die vielleicht im Laufe des Stückes nicht beantwortet worden sind. Das ist spannend, auch wenn man bereits viele Theaterstücke gesehen hat. Einige Seniorinnen und Senioren werden in unserem Stück zudem Namen wiederfinden, mit denen sie eine Zeitüberschneidung gehabt haben und die auch im hohen Alter noch sehr rege und aktiv waren und sind.

Ist die ältere Generation der Hymnenänderung nicht besonders kritisch gegenübergestanden?

Barbara Herold: Das kann sein, ist unter Umständen aber auch oft eine Verdrängung. ‚Es hat uns bisher nicht gestört, also warum brauchen wir jetzt dieses neumodische Getue?‘ Viele Frauen benötigen dieses Umschreiben nicht, um wertgeschätzt zu werden. Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein. Vielleicht gibt das Stück aber trotzdem einen Anstoß, darüber nachzudenken, wo ich selber feststecke. Vielleicht schafft es ein Bewusstsein dafür, dass das, was als neumodisch verteufelt wird, manchmal auch Sinn stiften kann, also einen Zweck hat und einen wachsam macht. Und durch meine Recherche, die ich über Zeitungen und Internetforen gemacht habe, weiß ich, dass die Haupt-‚Klientel’ nicht die ältere Generation war. Manchmal ist es verblüffend konservativ bis hin zu gelinde gesagt sehr traditionell, was gerade junge Herren und Damen in solchen Internetforen äußern.

Senior_innen gelten grundsätzlich als kulturinteressiert. Können Sie das bestätigen?

Barbara Herold: Bei vielen Aufführungen sind lediglich zehn Prozent der Besucher unter 25 Jahre alt. Vielleicht haben ältere Menschen einfach dadurch, dass sie schon länger Kulturveranstaltungen besuchen, entdeckt, wie wertvoll, bereichernd und anregend das für das Leben ist. Kunst und Kultur sind die viel bessere Unterhaltung als der Fernsehabend. Kunst ist gute Unterhaltung für Kopf und Seele, das hat nichts mit Zerstreuung zu tun. Wenn ich mich darauf einlasse und beispielsweise ins Theater gehe, muss ich immer selbst Stellung beziehen. Beim Fernsehen kann ich immer sagen: ‚Das mag ich nicht, da schalte ich um.‘ Bei Kultur muss ich ‚durchhalten’ und kann mir dann am Schluss ein Urteil bilden. Hat mich die Aufführung, das Konzert, die Ausstellung angesprochen beziehungsweise bewegt oder nicht? Kunst zwingt mich zur Auseinandersetzung, zur Meinungsäußerung. Und das ist die beste Unterhaltung für den Kopf und die beste Voraussetzung, um im Kopf und auch in der Seele oder dem Herzen wach und lebendig zu bleiben.

Die Bedeutung von Kunst und Kultur für das Leben

Welche Chancen bietet Kultur den Menschen?

Barbara Herold: Kunst und Kultur spiegeln immer etwas wider. Für mich sind Kunst und Kultur immer Optionen auf tolle Erlebnisse. Ich gehe in die Berge und erwarte mir Bewegung, Sport, einen schönen Ausblick – das tut mir gut und öffnet den Blick. Das kann Kunst eben auch. Und selbst wenn ich das nicht erlebe und mich furchtbar ärgere und sage: ‚Das war der letzte Schmarren‘, dann ist das in Ordnung, eben weil es mich zur Auseinandersetzung und Meinungsäußerung angeregt hat. Deshalb wird man dann zum ‚Wiederholungstäter‘. Wie beim Fernseher – den schaltet man jeden Tag wieder ein – auch wenn etwas zweimal nicht dem entsprochen hat, was man sich vorgestellt hat.

Und das Theater?

Barbara Herold: Theater hat die große Besonderheit, dass es immer live ist. Man nimmt bei jeder Vorstellung teil am Entstehungsprozess – nicht an der Probenarbeit, aber es kann jeden Abend etwas Unvorhergesehenes passieren. Theater ist unmittelbar. Im Film und Fernsehen ist es so, dass durch die Kamera der Blick fokussiert wird. Da gibt es einmal eine Großaufnahme von einer Hand, die etwas macht. Beim Theater ist immer der ganze Mensch zu sehen und die Regie und die Schauspieler/innen müssen es schaffen, dass, wenn die Hand wichtig ist, der Mensch nur auf die Hand blickt. Theater ist durch seine Unmittelbarkeit etwas wahnsinnig kostbares, weil sich Schauspielerinnen und Schauspieler auch als Persönlichkeiten zur Verfügung stellen und jeden Abend ganz ursprünglich – selbst wenn das erlernt, geprobt ist – immer wieder von neuem dem Publikum etwas bieten.

Von Rollenbildern und Widersprüchen

Was dürfen sich die Feldkircher Seniorinnen und Senioren bzw. alle Interessierten von Ihrem neuen Stück „Große Töchter“ erwarten?

Barbara Herold Barbara Herold: Ich hoffe, dass uns eine sehr vielfältige und abwechslungsreiche Collage über einige besonders bemerkenswerte Frauenpersönlichkeiten Österreichs gelingt, die viele Aspekte aufzeigt und ein breites Spektrum abdeckt, und dass wir insbesondere auch einen wertvollen kleinen Beitrag zum Humanismusjahr in Feldkirch leisten können. Viele der ausgewählten Damen haben sich zutiefst dem Humanismus verpflichtet gefühlt oder tun dies noch heute. Aktuell Ute Bock und Cecily Corti, die sich sozial sehr engagieren. Oder Margarete Schütte-Lihotzky, die Erfinderin der Frankfurter Küche – sozusagen die Mutter der Einbauküche, die aber auch im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis in Wien aktiv war und dafür fünf Jahre in Gestapo-Haft saß. Es gibt auch ein paar sehr lustige, satirische Momente, die einen humorvollen Einblick in die Tiefen und Untiefen der österreichischen Seele geben: Maria Augusta Trapp zum Beispiel, die Mutter der „Sound of Music“-Trapp-Family, deretwegen jährlich an die 300.000 Touristen nach Salzburg reisen, die aber auch ihre Kinder verprügelt hat und das in ihrer Autobiografie niedergeschrieben hat. Nur will das keiner wissen, weil es sich negativ auf den Tourismusfaktor auswirken könnte. Erik(a) Schinegger – das ist eine Skiläuferin, die 1966 Abfahrtsweltmeisterin wurde, bevor sich herausstellte, dass sie ein Mann ist. Es heißt heute noch oft, Erik Schinegger habe sich ‚umoperieren‘ lassen, was aber nicht stimmt. Sein Penis war verkrümmt nach innen gewachsen, die Hebamme hat ihn daher als Mädchen identifiziert und dabei ist es dann geblieben. Und die Tatsache, was es heißt in einem kleinen Kärntner Dorf diese psychische Entwicklung durchzumachen, wenn man als Mädchen aufwächst und dann plötzlich ein Mann ist, hat mich fasziniert.

Wie ist es zur Auswahl dieser Persönlichkeiten gekommen?

Barbara Herold: Die erste Recherche ging eigentlich wie immer über das Internet. Viel Material habe ich dann aus den Bibliotheken geholt, viel, sehr viel gelesen und dann haben Maria Fliri und ich gemeinsam entschieden, welches für uns die spannendsten Geschichten sind. Es sind viele Frauen dabei, die mit einem scheinbaren Widerspruch zwischen konventionellem Rollenbild und besonderen Leistungen in einer vermeintlich männlichen Domäne zu tun haben. Die vorhin schon erwähnte Margarete Schütte-Lihotzky, Hedy Lamarr, Hollywoodschauspielerin, schönste Frau der Welt, die eine wesentliche Erfindung getätigt hat, die heute noch in Mobiltelefonen wichtig ist – das Frequenzsprungverfahren. Und Bertha Pappenheim, jüdische Sozialpionierin, die sich gegen Mädchenhandel und Bordelle eingesetzt hat. Berühmtheit erlangt hat sie jedoch als bekanntester Hysteriefall von Sigmund Freud und Josef Breuer. Das Spannungsfeld zwischen überliefertem Rollenbild und Selbstverwirklichung oft in einer bis heute männlichen Domäne hat uns besonders interessiert. Und die Frage, ob es ein selbstverständlich harmonisches Bild ergibt, oder warum uns so etwas eigentlich heute immer noch auffällt.

Wie lange ist die Vorbereitungszeit, bis ein solches Stück zur Aufführung gelangt?

Barbara Herold: Die Proben haben vor einigen Wochen begonnen. Die eigentliche Probenzeit umfasst sechs bis sieben Wochen, aber insgesamt haben die Vorbereitungen über ein Jahr gedauert. Mit der Auswahl der Frauen fast anderthalb Jahre, auch bis man weiß, ob das wirklich ein Thema ist, wie und mit wem man es auf die Bühne bringen wird etc. Dann stand viel Lesen an, dann galt es viel Material in den Computer zu bringen, um schließlich wieder ganz viel ‚rauszuschmeißen’, d.h. klug auszuwählen, da das Stück ja nicht sieben Stunden dauern soll.

Was hat es mit der Rolle des Mannes im Stück auf sich?

Barbara Herold: Das läuft ganz selbstverständlich. Peter Bocek spielt manchmal eine Frau, manchmal einen Mann. Manchmal wird er Erzählertexte wiedergeben. Das ist eigentlich ziemlich homogen. Und es war von Beginn an klar, da es um die geschlechtsneutrale Version der Hymne geht, müssen natürlich ein Mann und eine Frau dabei sein.

Thema Humanismus – was hat Ihr Stück damit auf sich?

Barbara Herold: Es geht darum, dass ich allen anderen gegenüber tolerant bin, dass ich alle Menschen respektiere. Egal, welche Meinungen und Einstellungen bei ihnen vorherrschen. Dass ich hilfsbereit und achtsam bin. Dass ich mich für humanistische Ideale einsetze und dass wir es hier mit Frauen zu tun haben, die etwas geleistet haben, um etwas Gutes zu hinterlassen. Sie haben sich um die Belange von Menschen gekümmert, waren oder sind tolerant, werteorientiert und sehen alle Menschen als gleichwertig an. Diese Frauen sind alle sehr dem Menschlichsein verpflichtet und achten die Menschenwürde. Das Stück ist auch in diesem Sinne eine Anregung und keine Belehrung. Es gibt keine Rezepte mit auf den Weg, aber es stellt Fragen, die etwas auslösen können und sollen. Man kann einiges überdenken oder Ideen mitnehmen. Und wenn uns das gelingt, ist auch der Abend gelungen.

Das Gespräch führte Martina Podgornik.


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